Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit by Johann Gottfried Herder

Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit by Johann Gottfried Herder

Autor:Johann Gottfried Herder
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Edition Deutsche Klassik UG (haftungsbeschränkt)


Dritter Abschnitt

Zusätze

Die Himmelsluft ist so erquickend, daß man gern zu lange über Wipfel und Bäumen schwebet: hinunter an den traurigen Boden, um etwa aufs Ganze oder Nichtganze einen Blick zu werfen.

Großes Geschöpf Gottes! Werk dreier Weltteile und fast sechs Jahrtausende! die zarte saftvolle Wurzel, der schlanke, blühende Sprößling, der mächtige Stamm, die starkstrebende verschlungne Äste, die luftigen, weit verbreiteten Zweige – wie ruhet alles aufeinander, ist auseinander erwachsen! – Großes Geschöpf Gottes! aber wozu? zu welchem Zwecke?

Daß offenbar dies Erwachsen, dieser Fortgang auseinander nicht »Vervollkommung im eingeschränkten Schulsinne sei, hat, dünkt mich, der ganze Blick gezeigt«. Nicht mehr Samenkorn, wenn's Sprößling, kein zarter Sprößling mehr, wenn's Baum ist. Über dem Stamm ist Krone; wenn jeder Ast, jeder Zweig derselben Stamm und Wurzel sein wollte – wo bliebe der Baum? Orientalier, Griechen, Römer waren nur einmal in der Welt, sollten die elektrische Kette, die das Schicksal zog, nur in einem Punkte, auf einer Stelle berühren! – Wir also, wenn wir Orientalier, Griechen, Römer auf einmal sein wollen, sind wir zuverlässig nichts.

»In Europa soll jetzt mehr Tugend sein als je in aller Welt gewesen?« Und warum? weil mehr Aufklärung darin ist – ich glaube, daß eben deshalb weniger sein müsse.

Was ist's, wenn man auch nur die Schmeichler ihres Jahrhunderts frägt, was ist diese mehrere Tugend Europas durch Aufklärung? – »Aufklärung! Wir wissen jetzt so viel mehr, hören, lesen so viel, daß wir so ruhig, geduldig, sanftmütig, untätig sind. – Freilich – freilich – zwar – und auch das noch; aber bei allem bleibt doch der Grund unsrer Herzen immer so weich!« Ewige Süßler, das heißt alles ja, wir sind dort oben die dünnen, luftigen Zweige, freilich bebend und flisternd bei jedem Winde; aber spielt doch der Sonnenstrahl so schön durch uns! stehn über Ast, Stamm und Wurzel so hoch, sehen so weit und – ja nicht vergessen, können so weit und schön flistern!

Ob man nicht sähe, daß wir alle Laster und Tugenden der vergangnen Zeit nicht haben, weil wir – durchaus nicht ihren Stand, Kräfte und Saft, Raum und Element haben. Freilich kein Fehler, aber was erlügt man sich denn auch daraus Lob, Ungereimtheiten von Anmaßung? Was täuscht man sich mit unsern Mitteln der Bildung, als ob die das ausgerichtet? und nimmt alles zusammen, sich über den Tand seiner eignen Wichtigkeit zu hintergehen? Warum endlich trägt man den »Roman einseitiger Hohnlüge« denn in alle Jahrhunderte, verspottet und verunziert damit die Sitten aller Völker und Zeitläufte, daß ein gesunder, bescheidner, uneingenommner Mensch ja fast in allen sogenannt pragmatischen Geschichten aller Welt nichts endlich mehr als den ekelhaften Wust des »Preisideals seiner Zeit« zu lesen bekommt. Der ganze Erdboden wird Misthaufe, auf dem wir Körner suchen und krähen! Philosophie des Jahrhunderts!

»Wir haben keine Straßenräuber, keine Bürgerkriege, keine Untaten mehr« – aber wo, wie und warum sollten wir sie haben? Unsre Länder sind so wohl poliziert, mit Landstraßen verhauen, mit Besatzungen verpropft, Äcker weislich verteilt, die weise Justiz so wachsam – wo soll der arme Spitzbube, wenn er auch Mut und Kraft zu dem rauhen



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